Exkursionsbericht Föhr

Reise nach Föhr

oder: Ein schöner Tag

von Dr. Klaus Alberts, Kiel

Der 3. September 2011 kündigt sich an als schöner Tag, er wird es, und er bleibt es. Einundzwanzig Mitglieder des Vereins zur Förderung des Landesarchivs Schleswig-Holstein e. V. machen eine Reise nach Föhr, wo es aufregendes Neues zu sehen geben soll: Seit 2009 ist dort das Museum "Kunst der Westküste" zu besichtigen, gestiftet von Frederik Paulsen jun., dem schwedischen Industriellen mit familiären Wurzeln auf der Insel, geplant vom Architekten Gregor Sunder-Plassmann aus Kappeln, geleitet von Thorsten Sadowsky, dem einfallsreichen Museumsmann.

Ein bemerkenswertes Stück moderner Architektur und ein ebenso bemerkenswertes Museumskonzept in exzentrischer geographischer Lage, in den nordfriesischen Uthlanden, sind das Ziel des Tages, weil die Mitglieder des Vereins der Archivgedanke nicht nur in seiner klassischen Ausprägung interessiert, sondern weil sie auch sehr bewusst empfinden, dass das große Archiv, das das Land selbst ist, sich auch in seinen Bauten und künstlerisch realisierten Gedanken manifestiert; dass das bauliche und kulturelle Erbe von morgen eben auch die Architektur von heute und die aktuelle künstlerische Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart sind.

An diesem stillen, schon ein wenig frühherbstlich versponnenen Spätsommertag nähert sich das Schiff der Insel, die in dieser Atmosphäre über dem Meer zu schweben scheint; dann geht die Fahrt mit dem freundlichen Insulaner, der seine Heimat liebevoll erklärt, durch stille Dörfer dem Ziel entgegen: dem vollendet in die dörfliche Situation komponierten Museum in Alkersum. Der sonnige Tag zeigt Idyll, Sehnsuchtsland.

"Grethjen's Gasthof" ist Ausgangspunkt der planerischen Überlegungen des Architekten gewesen, dessen Lösung stets von der vorgefundenen Umgebung, den Materialien und der Auseinandersetzung mit Licht und Himmel bestimmt ist. Eine Anbiederung an Baustile der Vergangenheit hat keinen Raum in seinem Denken. Dass und wie er es geschafft hat, dass seine Formen- und Materialsprache trotz ihrer völligen Andersartigkeit nicht als Störfaktoren, als etwas Fremdes, Unangemessenes empfunden werden, sondern in harmonischer Koexistenz mit der klassischen friesischen Dorfsituation lebt, zeigt sein Können. Die Architektur ist nicht zu beschreiben, sie ist zu erleben. Sie drängt sich nicht auf, sie ist nicht besserwisserisch, ordnet sich in ihrer selbstbewussten Bescheidenheit der Kunst unter, ist dennoch etwas ganz Eigenes. Und sie schafft ein Lebensgefühl des Behagens, wenn man besonnt in Grethjens hundertfünfzigjährigem Kaffeegarten sitzt und das lichte Ensemble auf sich wirken lässt. Es ist Schönheit entstanden.

Für den künstlerischen Inhalt, das Konzept, zeichnen Frederik Paulsen jun. selbst, in der Gründungsphase Ulrich Schulte-Wülwer und heute Thorsten Sadowsky verantwortlich. In der thematischen Bescheidung liegt die Stärke des Hauses: Es werden Gemälde gezeigt, entstanden zwischen 1860 und 1950, die sich den Themen des Meeres und der Küste widmen, von Belgien bis Norwegen, also der europäischen Nordseeküste, ihrem kontinentalen Aspekt als einheitlichem Raum der Betrachtung. Ein weit gefasster Begriff der Definition von Heimat, den der Betrachter aber zwanglos für sich akzeptieren kann. Er wird als natürlich und angemessen empfunden: Die Sammlung spricht daher ganz unmittelbar an. Beeindruckend ist neben der gezeigten landschaftlichen Schönheit aber auch die dargestellte Wucht der Natur, das harte, karge, bescheidene Leben der Menschen an diesen nicht verwöhnten, aber auch nicht verwöhnenden Küsten, die eben keine lieblichen "Küsten des Lichts" sind. Die Vielfalt der Interpretationen nimmt gefangen. Die Qualität der Sammlung, die durch Zukaufe ständig variiert und erweitert wird, überzeugt.

Aber das Haus hat auch den Mut, sich mit zeitgenössischer Kunst auseinanderzusetzen; ein zweiter, wenn auch naturgemäß geringerer Teil widmet sich ihr in Sonderausstellungen: So haben gerade jetzt die "Innenwelten" und der "Szenenwechsel" den Innenraum zum Thema, wobei Dorothee Golz' Annäherung an Jan Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrgehänge" berührend ist und Peter Rösels Aufnahme des Motivs des Buddelschiffs überrascht: Während das klassische Sujet uns eine heile Welt zeigt, sind seine Schiffe, äußerst akkurat tableauiert, eher bedrohlich: PET-Flaschen mit kleinen wrackähnlichen Holzstücken darin, Trümmern, eine das Nachdenken anregende Installation zur Vergänglichkeit. Auch in diesem Teil der Präsentation zeigt das Haus hohes Niveau.

In einem genussreichen Dialog, der die Zuhörer begeistert, stellen Architekt und Museumsleiter ihr gemeinsames Haus vor. Danach beschließt ein Gang durch das alte Seebad Wyk den Tag. Die Fähre verlässt im silbrigen Abendlicht die Insel, das Meer ist ganz ruhig, kaum ist Fahrt in den Segelbooten. Und immer noch schwebt Föhr über der See.

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